"Besuch der alten Dame" am Gymnasium Nordhorn
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- Veröffentlicht: Dienstag, 26. Juni 2018 12:32
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Reichtum mag korrumpieren – Armut nicht minder
Schülertruppe präsentiert schwarze Tragikomödie spiellaunig und herzerfrischend
Es ist eine Freude, mit anzusehen, wie spiellaunig und herzerfrischend eine Schülertruppe Theater spielt. So geschehen am Gymnasium Nordhorn, dessen Theater-AG sich einer nicht leichten Bühnenkost annahm. Unter der souveränen Leitung von Inga Brookmann, assistiert von Jörg Fröhlich, brachte die Truppe Friedrich Dürrenmatts schwarze Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ auf die Bühne der Gymnasiumaula.
Das Regieteam hatte Text und Personal kräftig zusammengestrichen, ohne das in seinem verzweifelten Sarkasmus hoch aktuelle Stück zu beschädigen. Die Kürzung verstärkte noch Dürrenmatts groteskes Pingpongspiel, das er in Bilderfolge und Dialog so liebt und mit dessen Hilfe er sich – bei aller Neigung zum Volksstück – das Menschelnde vom Leibe hält.
Dürrenmatt konstruiert ein Bühnengeschehen in der total verarmten Kleinstadt Güllen, indem er einen makabren Grundeinfall auf eine Spitze treibt. Claire Zachanassian, einst das arme, verleumdete, verstoßene Güllener Kind Kläri Wäscher, nunmehr reichste Frau der Welt, kommt als alte, prothesengestützte Frau nach Güllen zurück, das sie heimlich in den Ruin getrieben hat, um sich an ihrem einstigen Geliebten III, der sie verraten hat, und an den Güllenern zu rächen. III hatte damals mit Hilfe von bestochenen Zeugen seine Vaterschaft vor Gericht geleugnet. Das uneheliche Kind, die verlogene Doppelmoral der Güllener, der Verrat IIIs haben sie damals in die Fremde und ins Bordell gebracht, wo sie den milliardenschweren „goldenen Maikäfer“ Zachanassian kennenlernte.
Nun fordert Claire „Gerechtigkeit“ und bietet dafür Güllen eine Milliarde, aber nur unter der Bedingung, dass sich jemand findet, der III tötet: „Ich… kaufe mir dafür Gerechtigkeit“, womit sie eher Rache meint. Wer superreich ist, steht auf dem Standpunkt, alles – auch menschliche Grundwerte – kaufen zu können. Unsere Welt (das heißt wir) ist käuflich Alles nur ein Deal. Bekannt?
Moralisch hoch entrüstet weisen die Güllener das ethisch verwerfliche Angebot zurück. Jedoch verschulden sie sich peu à peu mehr (leuchtendes Schuld(en)symbol: die gelben Schuhe). Sie hoffen darauf, dass die Milliardärin es nicht wird zum Äußersten kommen lassen. Töten wollen sie III – zunächst – nicht. Der letzte – hilflose – Widerstand gegen die Korrumpierung der viel beschriebenen „abendländischen Werte“ kommt von der Lehrerin (eindrucksvoll: Insa Rigterink): „Ich fühle, wie ich langsam zu einer Mörderin werde. Mein Glaube an die Humanität ist machtlos.“ Armut und Aussichtslosigkeit haben die Menschen und ihre Moral zerstört. Armut korrumpiert. Sie ermorden III. „Nichts ungeheurer als die Armut.“
Der Erfolg einer Inszenierung dieser bitterbösen Komödie steht und fällt mit den Darstellern der beiden Hauptfiguren Claire Zachanassian und Alfred III. Während Katharina Munk die elfenbeinstarre, wartend genießende, sich gleich bleibende Milliardärin mit zynischer Gelassenheit souverän durchhielt, brachte Michael Bertram die innere Entwicklung IIIs vom schmierigen Versagerlumpen zur erlösenden Akzeptanz seiner Schuld auch äußerlich zum Ausdruck. Auch die leicht korrumpierbaren Honoratioren des Städtchens (Alicia Sanchez als Bürgermeisterin, Nina Koernig als Polizistin, Jonas Elferink als Pfarrer, Lina Baptista als Ärztin) und die anderen Bürger (Tilda Jahn, Franka Walter, Sarah Mohammed, Lea Brookmann) machten ihre Sache als Wertemarionetten gut. Grotesken Charme entfaltete Claires Gefolge (Richter/Butler Lennard Book, Gatte José Sanchez y Campodonico und vor allem das geblendete Kastratenpärchen Koby: Marlene Wenderoth und Loby: Shawn-Pierre Döpper-Roussos). Als leichtgläubige, oberflächliche Medienvertreter kamen Anna Kollmann und Kassilia Fischer zum Einsatz.
Überraschend, wie zeitgemäß das über ein halbes Jahrhundert alte Stück sich zeigte. (Bernd Durstewitz)
Die Theater-AG dankt dem Förderverein für die großzügige Unterstützung während der Probenarbeit!